Rede Susanne Schmitt in der Stadtverordnetenversammlung zum Verkauf des Offenbacher Klinikums. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera - oder nicht?

wie fühlen Sie sich heute, am 2. Mai. 2013? Fühlen sie sich nicht auch so, als bliebe uns nur die Wahl zwischen  Pest und Cholera? Welche Richtung wir zur Rettung des Klinikums am Standort Offenbach einschlagen, wurde uns von höherer Stelle vorgegeben. Die Richtung heißt nun Verkauf statt Insolvenz. Eine Wahl hatten wir nie. Wer etwas anderes behauptet, wie unsere Kollegen von den Piraten, die bis in letzter Minute u.a. mit dem Bürgerbegehren und Eilanträgen gegen den Verkauf mobil gemacht haben, ignoriert völlig die Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen Land und Kommunen. Wie konnten wir in diese Lage geraten? Die Geschichte zeugt von einer wahren Odysee! Lassen sie uns gemeinsam zurückblicken. 2005 entschieden sich die Stadtverordneten nach langer Diskussion für einen Neubau und allen war klar: Es könnte ein Ritt auf der Rasierklinge werden. Warum fiel die Entscheidung trotzdem? Erinnern Sie sich noch? MitarbeiterInnen und Patienten hatten die Nase voll vom Alltag im alten Block aus den siebziger Jahren, den Staus vor den Aufzügen, den ständigen Rohrbrüchen, dem kalten Essen und der räumlichen Enge. Damals schon glich die Stadt etwaige Verluste des Klinikums aus. Die Defizite lagen noch bei 4-6 Mio. € jährlich. Aus heutiger Sicht gar nicht schlecht. Damals aber erschien dies viel und ein Abstieg schien vorprogrammiert, denn das alte Klinikum lockte sicher keinen Patienten an. Wir hatten die Wahl zwischen Sanierung und Neubau und entschieden uns dafür, uns wettbewerbsfähiger aufzustellen. Ein Manko: Das Land sagte nur 50 Mio. € zu und rückte diese fatalerweise nur in kleinen Tranchen heraus.

02.05.13 –

Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie fühlen Sie sich heute, am 2. Mai. 2013? Fühlen sie sich nicht auch so, als bliebe uns nur die Wahl zwischen  Pest und Cholera?

Welche Richtung wir zur Rettung des Klinikums am Standort Offenbach einschlagen, wurde uns von höherer Stelle vorgegeben. Die Richtung heißt nun Verkauf statt Insolvenz.

Eine Wahl hatten wir nie. Wer etwas anderes behauptet, wie unsere Kollegen von den Piraten, die bis in letzter Minute u.a. mit dem Bürgerbegehren und Eilanträgen gegen den Verkauf mobil gemacht haben, ignoriert völlig die Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen Land und Kommunen.

Wie konnten wir in diese Lage geraten?

Die Geschichte zeugt von einer wahren Odysee!

Lassen sie uns gemeinsam zurückblicken. 2005 entschieden sich die Stadtverordneten nach langer Diskussion für einen Neubau und allen war klar: Es könnte ein Ritt auf der Rasierklinge werden.

Warum fiel die Entscheidung trotzdem? Erinnern Sie sich noch? MitarbeiterInnen und Patienten hatten die Nase voll vom Alltag im alten Block aus den siebziger Jahren, den Staus vor den Aufzügen, den ständigen Rohrbrüchen, dem kalten Essen und der räumlichen Enge. Damals schon glich die Stadt etwaige Verluste des Klinikums aus.

Die Defizite lagen noch bei 4-6 Mio. € jährlich. Aus heutiger Sicht gar nicht schlecht. Damals aber erschien dies viel und ein Abstieg schien vorprogrammiert, denn das alte Klinikum lockte sicher keinen Patienten an. Wir hatten die Wahl zwischen Sanierung und Neubau und entschieden uns dafür, uns wettbewerbsfähiger aufzustellen.

Ein Manko: Das Land sagte nur 50 Mio. € zu und rückte diese fatalerweise nur in kleinen Tranchen heraus.

Ein Fehler: In den zuerst kommunizierten 140 Mio. € waren einige wichtige Posten nicht oder nicht ausreichend einkalkuliert, wie Energieanlagen, Kita, Sanierung diverser Häuser zu Schulungszwecken, Neubau und Abriss Parkhaus, etc.

Eine Folge: Die Kosten und Risiken aller Neubau- und Sanierungsaktivitäten wurden wesentlich teurer.

Vermutlich fragen Sie sich, wie jeder hier im Raum: Haben die Stadtverordneten und Aufsichtsträte versagt? Haben die Planer, die Ingenieure, die Geschäftsführer versagt? Gab es einen Moment, wo man hätte Stopp rufen sollen und welche Folgen

hätte das gehabt?  

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier bekennen: Die Entscheidung für den Neubau bleibt richtig. Dieser Neubau ist in Betrieb und er funktioniert hervorragend. Dieser Neubau ist trotz allem ein gelungenes Projekt. Und gerade dieser Neubau wird dafür sorgen, dass Offenbach ein attraktiver Klinikums-Standort mit einer Maximalversorgung bleibt.  Machen wir uns nichts vor. Die Defizite des laufenden Betriebes wären auch ohne Neubau stark gestiegen. Was hätte Offenbach denn ohne Neubau anzubieten?

Jahrelang suchten wir verzweifelt nach Rettungsankern, neuen Konzepten und Kooperationspartnern für das angeschlagene Klinikum. Aber alle Ansätze für Kooperationen und mehr Kosteneffizienz scheiterten. Inzwischen stiegen Defizite des laufenden Betriebs weiter an. Ideen für Gegenmaßnahmen waren rar.

Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren: Wer blutete von Anfang für das Klinikum  – erinnern sie sich? Meine Damen und Herren, ich spreche von denen, die sich um die Kranken hautnah kümmern, sie versorgen, das Haus in Ordnung halten, den Krankenhausbetrieb organisieren: Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie leisteten mit den Sanierungstarifverträgen einen großen Beitrag zum Erhalt des Klinikums. Diese schienen lange Zeit das einzige Mittel zu sein. Dieses Mittel hat zwar kurzfristig geholfen, aber auch über viele strukturelle Mängel  hinweggetäuscht.

Wir Grüne bedauern, dass fast alle Versuche der Vorjahre, Kooperationspartner zu finden, scheiterten.  Das ist auch eine Folge der Tatenlosigkeit dieser verbrauchten Landesregierung.

Viele Ideen für Kooperationen scheiterten auch deshalb, weil der Handlungsdruck bei den anderen Kommunen noch nicht so groß war. Wiederum hielten andere Städte die Schieflage des Klinikums für ein Offenbacher Problem. Heute weiß man es besser!

Letztendlich war es aber die Landesregierung, die von der Stadt Offenbach forderte zwischen „Verkauf oder Insolvenz“ also zwischen „Pest und Cholera“ zu wählen. Dreimal 30 Millionen Euro schoss die Stadt in kurzen Abständen zu. Als aber eine Patronatserklärung über weitere 90 Mio. € zur Sicherung des Sanierungsprozesses bis 2015 fällig wurde, sagt das Land: Nein!

Meine Damen und Herren, wie lautete die überraschende Begründung: Die hohe Verschuldung unserer Stadt.

Jetzt wurde Druck ausgeübt: Wenn beim Klinikum weiter subventioniert wird, so die Botschaft, dann drehen wir den Hahn beim Schulbausanierungsprojekt zu und genehmigen keinen Haushalt mehr. Also forderte der Regierungspräsident, der verlängerte Arm der Landesregierung, eine Markterkundung. Dieser Forderung kam die Stadt nach. Doch der hohe Aufwand trug keine Früchte. Während Offenbach schließlich mitten im Verfahren steckte, servierte das Land der erstaunten Öffentlichkeit  die Idee einer öffentlich-rechtlichen Stiftungsholding für notleidende Krankenhäuser. Die Angebote waren mau – was tun? 

Das Ziel der GRÜNEN war klar: Wir wollten nicht privatisieren, sondern mit dem Klinikum unter das Dach einer vom Land initiierten Stiftungsholding schlüpfen. Das war aber offensichtlich nicht im Sinne der Erfinder, die letztlich auch zu spät damit hinter dem Ofen hervorkamen. Die Reaktion: Radikal kappte der Regierungspräsident uns die Kredite und zog dem Klinikum damit endgültig die städtischen Planken unter den Füßen weg. Damit stand die Insolvenz kurz und sehr real bevor. Die Überschuldungsbilanz lag auf dem Tisch.

Bevor das Klinikum zerfällt, die Mitarbeiter kündigen, ein Ausverkauf von Werten beginnt, zimmerten alle Beteiligten quasi über Nacht am 19.11.2012 die Vereinbarung zur Insolvenzabwendung. Wir – also die Vertreter der Stadt - mussten uns darauf einlassen, unser Klinikum bis zum 31.März 2013 zu verkaufen. Das Land bzw. der Regierungspräsident genehmigte ein Darlehen bis zu 90 Mio. € für das Klinikum und sagte der Stadt 40 Mio. aus dem Landesausgleichstock zu.

Aber, meine Damen und Herren, in unser Navigationsgerät haben wir nicht etwa „Verkauf“ als Ziel einprogrammiert, sondern den „Erhalt des Klinikums“ mit all seinen hochwertigen medizinischen Angeboten und einer Perspektive für die über 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Und wie es aussieht - liebe Passagiere - scheint dieses Ziel in greifbarer Nähe zu sein. Aber andere Kapitäne besteigen nun die Brücke. Das Klinikum, das kurz vor dem Untergang stand, erhält wieder eine Zukunft. Die Mitarbeiter dürfen vorsichtig aufatmen. Für alles, was sie geleistet haben in dieser unsicheren Zeit, müssen wir dankbar sein. Sie blieben trotz aller Zumutungen an Bord. Die Steuerfrau „Frau Mecke-Biltz“ hat mit ihrer Crew beachtliche Effizienzpotenziale aufgezeigt.

Umso bitterer ist es für uns heute, den Verkauf unseres kommunalen Klinikums zu beschließen. 

Die Aussicht darauf, als Stadt trotz des Verkaufs noch etwa 300 Mio. € (meist Altschulden oder lediglich Risiken) zu schultern, macht wahrlich keinen Appetit auf dieses Geschäft.Angesichts der prekären Offenbacher Finanzlage und der Weigerung des Landes weitere Kredite zu genehmigen, gibt es aber keinen Ausweg.

Positiv: Die Stadt haftet nach dem 30.Juni 2013 nicht mehr für neue Schulden – mit denen aber zu rechnen ist. Sie behält auch noch 10% der Anteile am Klinikum und sichert sich dadurch Rechte auf Information und Beteiligung in wichtigen Fragen.

Die Käuferin wiederum verpflichtet sich unter anderem zurInsolvenzabwendungfür die nächsten 10 Jahre, das ist mehr als wir zuletzt leisten konnten – oder besser durften. Die neuen Eigentümer verpflichten sich auch zu  INVESTITIONEN in Höhe von 110 Mio. € und sie legen einen Sozial- und Weiterbildungsfonds in Höhe von 20 Mio.€  auf und tragen das Jahresdefizit 2013 bis zur Höhe von 35 Mio. €.

Auch wenn man mit einem Euro nicht wirklich glücklich werden kann, muss auch loben möglich  sein: Das im Vertrag fixierte medizinische Konzept der Käuferin ist schlichtweg beeindruckend. In erheblichem Maße soll eigenes Know-How und Kapital einfließen und das Klinikum soll zu einem „Leuchtturm“ in der Region aufsteigen. Wenn das wahr wird, dürfen wir uns gemeinsam ein wenig freuen.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleiben Fragen: War der heutige Vorgang vermeidbar? Was sind die Ursachen? Wo sind die Schuldigen?

Auf keine dieser Fragen gibt es eine einfache Antwort, denn wir halten nichts von  Verschwörungstheorien oder einseitigen Schuldzuweisungen. Aber ein Blick über den Tellerrand lohnt sich doch.

Zitieren möchte ich - unter diesem Vorbehalt - Georg Schulze-Ziehaus, Klinikexperte der Gewerkschaft Verdi in Hessen: „Auslöser für die Privatisierung war auch in Offenbach letztendlich, dass das Land seinen gesetzlichen Verpflichtungen, die Investitionsmittel für Kliniken zu übernehmen, nur unzureichend nachkommt.“

Dazu noch ein Beispiel: Weil das Land Hessen der Stadt Offenbach - absurder Weise – verweigerte, den Zuschuss von 50 Millionen € in einem Zuge auszuzahlen, wird nun unnötigerweise unsere Nachfolgerin, die Käuferin, von 10 Millionen € aus den Krankenhausbau-Förderprogramm des Landes profitieren. Überhaupt – betrachtet man die Vergabe der Mittel der letzten Jahre – so werden längst nicht nur kommunale Häuser, sondern in erheblichem Ausmaß die angeblich so viel effizienter wirtschaftenden Privaten bezuschusst.

Blicken wir uns weiter um und fragen uns: Steht Offenbach denn mit seinen Problemen alleine? Ist die Misere hausgemacht? Nein, denn die See ist rau geworden im Gesundheitswesen. Nicht nur das Offenbacher Klinikum, sondern eine ganze Flotte von Kliniken gerät ins Schwanken. Mittlerweile schreibt jede dritte Klinik rote Zahlen. Besonders die großen Häuser, die einen breiten Versorgungsauftrag haben, haben es schwer.

Das Krankenhaus-Finanzierungssystem sei völlig aus dem Gleichgewicht geraten, sagt z.B. Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes der dpa: „Es fehlen in Deutschland eine bedarfsorientierte Krankenhausplanung und ein wettbewerbliches Vertragssystem zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen.“

Pessimistisch sind die Erwartungen der Krankenhäuser für 2013 nach dem aktuellenKrankenhausbarometer: Fast 40 Prozent prognostizieren eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation. Als Grund nennt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die vom Gesetzgeber gewollten milliardenschweren Kürzungen sowie hohe Personal-, Energie- und Sachkostensteigerungen bei gleichbleibenden Erstattungssätzen.

Größtes Problem aller Kliniken ist das aktuelle System der Kostenerstattung, das die schwarzgelbe Bundesregierung verantwortet.

So betreiben CDU und FDP in Berlin eine fatale Politik der vermeintlichen Kostenbegrenzung. Die Abrechnung nach den sogenannten DRG’s dient nicht der kosten- und leistungsgerechten Bezahlung, sondern letztlich nur der Verteilung eines Budgets.

Damit sind aber die Kosten des laufenden Betriebs kaum zu finanzieren. Und selbst dann, wenn der Betrieb sehr gut läuft und sie eine Leistung sehr gut und oft erbringen, werden ihnen die Effizienzvorteile geraubt, weil dann bis zu 30% Abzüge fällig sind. 

Die Refinanzierung von Klinikbauten ist in diesem System schlichtweg nicht vorgesehen. Die Voraussetzungen, dass das Klinikum nicht nur den Betrieb, sondern auch einen Neubau finanziert, sind entgegen der ursprünglichen Neubau-Planung damit nicht erfüllt. So wenig, wie eine Schule ihren Neubau finanzieren kann, so wenig kann dies das kommunale Krankenhaus.Es ist Aufgabe des Landes und des Bundes, die Krankenhäuser zu koordinieren und Prozesse zu moderieren. Diese Aufgabe wird sträflich vernachlässigt.

Die Landesregierung hat in Offenbach mit dem Feuer gespielt, als sie die Insolvenz provozierte. Sie hatte wohl vergessen, dass sie gesetzlich gemäß Krankenhausgesetz in der Mit-Haftung steht:

§ 3 Gewährleistung der Krankenhausversorgung

(1) Die Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung durch leistungsfähige Krankenhäuser ist eine öffentliche Aufgabe des Landes, der Landkreise und der kreisfreien Städte.

Und :

§ 13, Rechtsaufsicht

(1) Die Krankenhäuser und ihre gemeinschaftlichen Einrichtungen unterliegen der Rechtsaufsicht des für das Krankenhauswesen zuständigen Ministeriums.

Auch wenn wir sie alle heute darum bitten, dieser Magistratsvorlage zuzustimmen, so sind wir doch der Auffassung, dass eine Privatisierung nicht generell dazu geeignet ist, die Probleme der Krankenhäuser zu lösen. Dazu müssten viele Hebel an anderer Stelle bewegt werden. Für Offenbach aber war kein anderer Weg möglich.

Die moderne Krankenversorgung kann man nicht allein betriebswirtschaftlich ausrichten - ansonsten wird Medizin unmenschlich und Gesundheit zur Ware. Deshalb werden wir Grünen das Geschehen im Offenbacher Klinikum stets kritisch im Auge behalten.

 

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